Sara Anhäuser
Da war es. Mein Abiturzeugnis! Nach drei Jahren hielt ich es endlich in den Händen. Das Gefühl war unbeschreiblich. Ein Lebensabschnitt ging mit diesem Zeugnis zu Ende. Die Zeit am Abendgymnasium war intensiv, aufregend und sicherlich auch immer mal wieder anstrengend. Für mich hat sich jeder Abend gelohnt. Besonders rückblickend ist mir das klar geworden.
Nach dem Abitur stand für mich fest, dass es weiter geht. Schon vor der Zeugnisübergabe war meine Kündigung für meinen Job geschrieben und die Bewerbungen für die Unis raus.
Im März noch im Büro und im April schon in der Universität.
Ich hatte mich für ein Studium der Rechtswissenschaften entschieden, umgangssprachlich Jura genannt. Es musste auch eine andere Stadt sein. Ich dachte mir, wenn schon Neuanfang dann richtig. Wer weiß ob das nicht das letzte Mal ist, dass man so eine Freiheit hat.
Also ab nach Köln. Da saß ich dann. 26 Jahre alt und in Vorlesungen mit vielen jungen Menschen über das allgemeine Zivilrecht, Strafrecht und öffentliches Recht. Oft ging ich über den Campus und dachte mir, Wahnsinn! Ich studiere wirklich.
Vor dem Abi hatte ich mir das nicht vorstellen können.
Das Studium war auch nicht immer leicht. Wenn man aus dem Job kommt und viele Jahre ein gutes Gehalt hatte, ist es nicht einfach mit weniger zurecht zukommen. Kleinere Wohnung, weniger finanzielle Freiheit. Aber es war möglich. Dadurch, dass ich das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg erworben habe, hatte ich einen Bafög Anspruch. Dann hatte ich in meinem zweiten Semester das große Glück ein Stipendium zu ergattern. Neben der finanziellen Förderung gibt es bei vielen Stipendien auch eine ideelle Förderung. So konnte ich für einen englisch Sprachkurs drei Wochen nach England und war zwei Wochen in Olang (Südtirol) für eine Sommerakademie und vieles Mehr.
Das Studium verflog im nu. Zwischen Klausuren, Hausarbeiten, Arbeitsgemeinschaften und Dergleichen rennt die Zeit. Und dann passierte es schon wieder. 4 ½ Jahre nach dem Abiturzeugnis hatte ich die Urkunde über mein erstes Staatsexamen in der Hand. Unglaublich! Nun bin ich seit fünf Monaten Rechtsreferendarin. Nächstes Jahr steht das zweite Staatsexamen an. Und wieder denke ich manchmal, Wahnsinn ist das wirklich mein Leben? Ich sitze neben einer Richterin, schreibe Urteile und lerne jeden Tag dazu.
Mein Abitur nachzuholen war für mich eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Vor 10 Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich diesen Weg gehen würde und viele Menschen in meiner Umgebung auch nicht. Aber ich zeige es denen und mir jeden Tag aufs Neue, das ich es kann und tue.